Entscheide Richtig!
Im Sport hängt das Gewinnen von schnellen und richtigen Entscheidungen ab. Ob als Torhüter:in beim letzten Angriff des Gegnerteams oder im Tennis beim Matchball – in Sekunden muss die richtige Wahl getroffen werden. Die richtige Entscheidung kann den Unterschied machen zwischen Erfolg und Enttäuschung, zwischen Triumph und verpasster Chance. Doch wie gelingt es, in solchen Momenten die bestmögliche Entscheidung zu treffen?
Warum Entscheidungen so schwerfallen
Täglich treffen wir mehrere Hundert Entscheidungen. Viele davon praktisch automatisch. Warum fällt es uns dann gerade im Sport so schwer, in wichtigen Momenten klar zu entscheiden?
Entscheiden bedeutet immer, eine Veränderung einzuleiten. Und Veränderung bringt Unsicherheit. Genau das stresst uns, egal ob im Alltag oder auf dem Fussballplatz. Studien zeigen, dass Menschen oft versuchen, durch mehr Informationen oder weitere Analysen Sicherheit zu gewinnen. Im Spiel ist das unmöglich: Dort musst du sofort handeln.
Die Psychologie spricht hier von Handlungs- und Lageorientierung.
Handlungsorientierte Menschen kommen auch nach Fehlern schnell ins Tun und richten den Fokus auf die Aufgabe.
Lageorientierte hingegen kreisen um die Umstände, denken über Konsequenzen nach und zögern, anstatt zu handeln.
Zwei Fragen, die alles verändern
Forschende haben gezeigt: Gute Entscheidungen hängen von zwei einfachen Fragen ab:
In welchem Kontext steht diese Information?
Eine Szene muss immer eingeordnet werden. Wie oft kam sie schon vor, wie sieht sie im Vergleich zu Training oder Gegnern aus?Was hat mich überrascht?
Überraschung ist ein Bias-Killer. Sie zwingt dich, Routinen zu hinterfragen und Details wahrzunehmen, die sonst untergehen.
Beispielsweise für Torhüter:innen heisst das: Nicht nur «Ball halten oder nicht», sondern bewusst einordnen und offen bleiben für das Unerwartete.
Motivation und Risiko – was im Kopf passiert
Motivation und Risikobereitschaft sind entscheidend dafür, wie klar und mutig Entscheidungen fallen, besonders wenn der Druck steigt. Aktuelle Forschung zeigt, dass handlungsorientierte Athlet:innen unter Stress weniger grübeln und schneller ins Handeln kommen. Eine Studie mit 157 Leistungssportler:innen konnte belegen, dass lageorientierte Athlet:innen häufiger «grüblende Gedanken» haben und dadurch in Wettkampfsituationen blockiert sind (Kuhl & Beckmann, 2019).
Darüber hinaus belegen Untersuchungen, dass die Art der Motivation eine Rolle spielt. Wer aus innerer Begeisterung und persönlichen Werten handelt (intrinsische Motivation), trifft bessere Entscheidungen als Athlet:innen, die sich vor allem an äusseren Belohnungen oder Druck orientieren. Intrinsisch motivierte Sportler:innen zeigen zudem eine höhere Risikobereitschaft, die für mutige, aber auch kluge Entscheidungen nötig ist (Koole & Jostmann, 2004).
So weisen Studien darauf hin, dass Athlet:innen unter hohem Erwartungsdruck entweder konservativer agieren oder ihr Risiko nicht optimal dosieren, wenn Unsicherheit über die Folgen herrscht. Besonders entscheidend ist daher die Fähigkeit, Situationen im Kontext zu sehen und Erfahrungen zu nutzen, um Risiken realistisch einzuschätzen (Raab & Johnson, 2008).
Die Sportpsychologie unterstützt diese Sichtweise: Das Risikowahlmodell von Atkinson zeigt, dass erfolgszuversichtliche Athlet:innen gerade bei mittlerer Schwierigkeit am klarsten entscheiden, während misserfolgsorientierte Athlet:innen dazu neigen, diese Situationen zu vermeiden.
Druck, Stress und Aufmerksamkeit
Unter starkem Stress verengt sich die Aufmerksamkeit. Auf dem Platz bedeutet das oft, dass man nur noch den Ball oder die möglichen Konsequenzen sieht und dabei die eigentliche Aufgabe vergisst. Sportpsychologische Forschung zeigt: Je höher die Aktivierung, desto wichtiger sind Routinen, die die Aufmerksamkeit wieder auf die Aufgabe lenken. Dazu gehören kurze Atemtechniken oder Schlagwörter als Selbstinstruktionen, die den Kopf stabilisieren.
Fazit – oder deine Take-away-Message
Gute Entscheidungen sind trainierbar. Sie entstehen, wenn du dir drei Dinge bewusst machst:
1. Bleib handlungsfähig. Erkenne, wenn du ins Grübeln rutschst, und lenke deinen Fokus zurück auf die Aufgabe. Ein einfacher Atemzug oder ein Schlagwort im Kopf («Ball!», «Winkel!») kann dich sofort ins Handeln bringen.
2. Ordne Situationen im Kontext ein. Nach Spielen oder Trainingseinheiten frag dich nicht nur, ob es «gut» oder «schlecht» war, sondern: Wie oft kam diese Szene vor? Wie sah sie im Vergleich zu ähnlichen Situationen aus? So lernst du, Muster zu erkennen und klüger zu entscheiden.
3. Suche aktiv nach Überraschungen. Stell dir nach jeder Einheit die Frage: «Was hat mich überrascht?» Genau diese Momente bringen dich weiter, weil sie deine Routinen herausfordern und dir neue Blickwinkel eröffnen.
Wenn du diese drei Punkte regelmässig übst, wirst du merken: Entscheidungen werden klarer, schneller und mutiger. Und genau das macht den Unterschied - in jedem Bereich deines Spiels.
Literatur
Kuhl, J., & Beckmann, J. (2019). Action versus state orientation and self-regulation: A review. Frontiers in Psychology, 10, 576. https://doi.org/10.3389/fpsyg.2019.00576
Koole, S. L., & Jostmann, N. B. (2004). Getting a grip on your feelings: Effects of action orientation and external demands on intuitive affect regulation. Journal of Personality and Social Psychology, 87(6), 974–990. https://doi.org/10.1037/0022-3514.87.6.974
Raab, M., & Johnson, J. G. (2008). Expertise-based differences in search and option-generation strategies. Journal of Experimental Psychology: Applied, 14(3), 171–178. https://doi.org/10.1037/1076-898X.14.3.171
Mayer, J. (2015). Mentales Training. Berlin: Springer.
Brand, R. (2010). Sportpsychologie. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Dieser Beitrag ist Artikel Nr. 8 der Blogreihe MentALLab, in der ich regelmässig wissenschaftliche Studien aus Sportpsychologie und Coaching aufarbeite.
Mein Ziel: komplexe Erkenntnisse verständlich machen – und Impulse für die Praxis geben.
Willkommen im MentALLab - hier beginnt das Spiel vor dem Anpfiff.